EGMR, Urteil vom 08.04.2004, Nr. 71503/01

Assanidze gegen Georgien – Art. 6 Abs. 1, Art. 5 Abs. 4, Art. 13 EMRK

Der Kläger war ein georgischer Politiker. Nachdem er wegen angeblicher Finanzdelikte zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden war, begnadigte ihn der georgische Staatspräsident. Trotzdem blieb er in Untersuchungshaft. Danach wurde er wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung verurteilt, jedoch in zweiter Instanz freigesprochen.

Trotz mehrfacher Intervention der georgischen Regierung und des Parlaments behielt die zuständige Teilrepublik Adscharien ihn weiterhin in Haft.

„EGMR, Urteil vom 08.04.2004, Nr. 71503/01“ weiterlesen

EGMR, Urteil vom 30.06.2008, Nr. 22978/05

Gäfgen gegen Deutschland – Art. 3 und 6 EMRK

In diesem sehr bekannten Verfahren ging es um strafverfahrensrechtliche Fragen sowie um das Folterverbot.

Kernsätze des Urteils

  • Es gibt keine Ausnahmen vom Folterverbot aus Art. 3 EMRK. Auch Kerninteressen des Staates und das Leben anderer Menschen erlauben keine Gewaltanwendung zur Erlangung von Aussagen („Rettungsfolter“).
  • Bereits die Bedrohung mit einer unmittelbar bevorstehenden Folterung ist eine unmenschliche Behandlung.
  • Aussagen, die unter Verletzung von Art. 3 EMRK erlangt werden, dürfen nicht als Beweismittel in einem Strafverfahren herangezogen werden.
  • Beweismittel, die aufgrund einer solchen unverwertbaren Aussage aufgefunden wurden, also indirekt auf den Verstoß zurückgehen, dürfen grundsätzlich nicht verwendet werden. Eine Verwendung stellt einen Verstoß gegen das faire Verfahren (Art. 6 EMRK) dar. Eine Ausnahme gilt nur, wenn die Aussagen später ohne Zwang oder Drohung wiederholt wurden.

Drohung mit Folter bei erstem Verhör

Folter gehört ins Mittelalter und nicht in ein modernes Strafverfahren. Art. 3 EMRK statuiert ein absolutes und ausnahmsloses Folterverbot.
Folter gehört ins Mittelalter und nicht in ein modernes Strafverfahren. Art. 3 EMRK statuiert ein absolutes und ausnahmsloses Folterverbot.
Der Antragsteller war Beschuldigter eines Ermittlungsverfahren gegen ihn. Er wurde – zutreffenderweise – beschuldigt, einen Elfjährigen entführt zu haben, um dessen Eltern zu erpressen.

Unmittelbar nach seiner Verhaftung wurde er durch die Polizei verhört. Diese ging davon aus, dass das Entführungsopfer noch am Leben sein könnte, sich aber in einem möglichen Versteck ohne ordentliche Versorgung in Lebensgefahr befände. Daher wurde er unstreitig mit verschiedenen Gewaltmaßnahmen bedroht, sollte er den Aufenthaltsort des Kindes nicht sofort verraten.
„EGMR, Urteil vom 30.06.2008, Nr. 22978/05“ weiterlesen

EGMR, Urteil vom 25.10.2018, Nr. 76607/13

Bikas gegen Deutschland – Art. 6 Abs. 2 EMRK

Der Beschwerdeführer war in Deutschland wegen ungefähr 300 Sexualdelikten angeklagt, die sich über einen längeren Zeitraum erstreckt haben sollen.

Wer nicht verurteilt wurde, gilt als unschuldig – sog. „Unschuldsvermutung“.
In der 17 Tage dauernden Hauptverhandlung kam das Landgericht zu der Überzeugung, dass vier dieser Straftaten hinsichtlich aller Umstände, Ort und Zeit nachgewiesen seien. 50 weitere Straftaten hätten sicher stattgefunden, die genauen Umstände ließen sich aber nicht mehr ermitteln. Hinsichtlich der übrigen Straftaten sei ein Tatnachweis nicht erbracht.

Gericht hat Gegenstand des Urteils eingeschränkt

Darum stellte das Gericht das Verfahren am letzten Hauptverhandlungstag wegen aller bis auf die erstgenannten vier Straftaten ein. Rechtsgrundlage war § 154 StPO, wonach eine Beschränkung der Verfolgung auf einzelne Taten möglich ist, wenn die übrigen keine wesentlich höhere Strafe erwarten lassen.

„EGMR, Urteil vom 25.10.2018, Nr. 76607/13“ weiterlesen

EGMR, Urteil vom 17.09.2019, Nr. 75460/10

Akdag gegen die Türkei – Art. 6 EMRK

Türkische Behörden ignorierten die Tatsache, dass eine Verdächtige in Polizeigewahrsam ihr geltendes Recht auf einen einen Rechtsanwalt nicht in Anspruch genommen hatte

Im heutigen Urteil der Kammer im Fall Akdag v. Türkei (Antrag Nr. 75460/10) hielt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einstimmig Folgendes fest:

Es bestand eine Verletzung des Artikels 6 Abs. 1 und 3 c (Recht auf eine faire Verhandlung / Recht auf einen Rechtsbeistand) des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.

Der Fall betraf die Kontaktaufnahme zu einem Rechtsanwalt während des Polizeigewahrsams. Die Antragsstellerin behauptete sie habe gestanden, ein Mitglied einer illegalen Organisation zu sein, nachdem sie von der Polizei bedroht und misshandelt worden sei ohne dass ihr dabei die Kontaktaufnahme zu einem Rechtsanwalt gewährt worden war.

„EGMR, Urteil vom 17.09.2019, Nr. 75460/10“ weiterlesen