EGMR, Urteil vom 26.04.1979, Nr. 6538/74

The Sunday Times gegen Vereinigtes Königreich – Art. 10 EMRK

Die Contergan-Fälle waren auch in Großbritannien ein großes öffentliches Thema, über das die Presse intensiv berichtete.
Die Contergan-Fälle waren auch in Großbritannien ein großes öffentliches Thema, über das die Presse intensiv berichtete.
Die Contergan-Fälle sind hierzulande noch immer bekannt. Auch in anderen Ländern nahmen schwangere Frauen das Schlafmittel, was zu Missbildungen bei den ungeborenen Kindern führte. In Großbritannien gab es zahlreiche „thalidomide cases“, benannt nach dem chemischen Wirkstoff.

Die britische Zeitung Sunday Times berichtete über die Schadenersatzklagen der betroffenen Familien gegen das herstellende Unternehmen. Dabei veröffentlichte sie auch außergerichtliche Vergleiche zwischen den Klägern und der Beklagten.

Gericht verbot Berichterstattung über außergerichtliche Vergleiche

Daraufhin untersagte eines der zuständigen Gerichte der Zeitung die weitere Berichterstattung. Hiergegen klagte die Sunday Times vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen ihrer Meinungsfreiheit (Art. 10 EMRK).

Artikel 10 der EMRK erlaubt grundsätzlich auch Einschränkungen der Meinungsfreiheit durch Gesetz. Hier war schon fraglich, ob überhaupt ein Gesetz in diesem Sinne vorlag. Denn die Rechtsgrundlage des Gerichts war die allgemeine, traditionelle Bestimmung des „contempt of court“, also Missachtung des Gerichts. Ob ein Bericht über eine Vergleichsverhandlung überhaupt eine Missachtung darstellen kann, war bereits unsicher. Der EGMR war allerdings der Meinung, dass die Zeitung zumindest hätte ahnen können, dass dies nach britischem Prozessrechtsverständnis unter diese Rechtsfigur fallen könnte.

Geheimhaltungsinteresse überwiegt nicht gegenüber Pressefreiheit

Die Pressefreiheit als Unterfall der Meinungs(äußerungs)freiheit kann nur unter besonderen Voraussetzungen zum Wohle des Staates eingeschränkt werden.
Die Pressefreiheit als Unterfall der Meinungs(äußerungs)freiheit kann nur unter besonderen Voraussetzungen zum Wohle des Staates eingeschränkt werden.
Auch war das Publikationsverbot geeignet, um legitime Ziele zu erreichen, hier den ungestörten Gang der Rechtspflege und die unbeeinflusste neutrale Urteilsfindung in künftigen Verfahren.

Allerdings musste auch hier eine Abwägung zwischen der konventionsrechtlich geschützten Meinungsfreiheit einerseits und den Interessen des Staates andererseits stattfinden. Der EGMR war jedoch nicht der Meinung, dass dies ausreiche, um der Presse ihre Berichterstattung zu verbieten. Denn auch die Funktionsfähigkeit der Presse sei ein öffentlicher Belang, der hier zu beachten wäre. Nach alldem falle die Abwägung jedenfalls nicht so deutlich zu Gunsten des Staates aus, dass das Verbot gegenüber der Zeitung gerechtfertigt sei.

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